Rede des Ortsvorsitzenden zu "80 Jahre FDP Bretten"
Sehr geehrter Herr Landesvorsitzender Dr. Rülke,
verehrter Herr Oberbürgermeister Morast,
liebe Karin Gillardon, lieber Ernst Gillardon,
sehr geehrter Herr Altoberbürgermeister Metzger,
geschätzte Landtagsabgeordnete, Stadträte und Ehrengäste,
liebe Mitglieder und Freunde der Brettener FDP, meine Damen und Herren!
Seien Sie alle ganz herzlich willkommen!
Was sagt ein Ortsvorsitzender am besten, wenn sein Stadtverband stolz auf eine acht Jahrzehnte währende Geschichte zurückblickt? Immerhin gehören die Liberalen damit zu den Pionieren des demokratischen Wiederaufbaus in Bretten. Seit 1945 haben wir alle Etappen der Stadtentwicklung begleitet und unsere Ideen in den öffentlichen Diskurs eingebracht. Wir standen und stehen im ehrenamtlichen Dienst der Demokratie.
Obendrein… Was sagt ein liberaler Ortsvorsitzender am besten an einem 9. November – an einem so bedeutungsschweren, ambivalenten Schicksalstag für die Demokratie in Deutschland? Heute jähren sich positive, freiheitsstiftende Ereignisse – der Fall der Berliner Mauer 1989 und die Ausrufung der Republik 1918. Einerseits! … Andererseits erlebte das Land am 9. November zutiefst dunkle Momente – den noch gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 und – viel schwerwiegender – die Novemberpogrome von 1938. Sie markieren mit ihrer unsäglichen Gewalt gegen Juden, ihre Synagogen und Geschäfte den Beginn der systematischen Verfolgung und Vernichtung jüdischer Mitmenschen in Europa.
Ich könnte Ihnen an so einem Tag, bei so einer Veranstaltung chronologisch und detailreich die Geschichte der Brettener Liberalen erzählen. Unseren Gründervätern war es ein Anliegen, noch im Jahr der Befreiung den Neustart zu wagen. So wurde am 29. Dezember 1945 eine „Demokratische Partei“ Bretten aus der Taufe gehoben. Bereits wenige Tage später sprach man von einem DVP-Ortsverband, also von der „Demokratischen Volkspartei“, wie sie sich landesweit in Württemberg-Baden organisierte. Den Namen des 1948 gegründeten Bundesverbandes übernahmen die Südwestliberalen erst 1952. Seither war also auch in der Melanchthonstadt von einer „FDP/DVP“ die Rede, wobei der Zusatz DVP lange Jahrzehnte stolz beibehalten wurde.
Ich könnte Ihnen erzählen, dass es seit unserer Gründung Höhen und Tiefen gab. Gleich 1946 zählte die FDP Bretten 48 Mitglieder – ungefähr das Niveau von heute. Dazwischen sank die Zahl der Parteifreunde teils dramatisch auf unter 20 ab, übertraf in manchen Jahren aber auch die Marke von 50. Diese Fluktuationen prägen den organisierten Liberalismus hierzulande wohl insgesamt. Entsprechend gibt es Mitstreiter vor Ort, die erst wenige Jahre dabei sind, und solche, die der gemeinsamen Sache schon Jahrzehnte dienen – besonders Jutta Ressin, Altgemeinderätin Karin Gillardon und unser Urgestein Ernst Gillardon. Ich freue mich, dass sie heute unter uns sind.
Alle drei von ihnen wissen, dass Kommunalwahlen nie ein Selbstläufer für die FDP sind. Im Gegenteil: 1975 und 1999 gelang es uns sogar nicht, Sitze im Gemeinderat zu ergattern. Aus den meisten Wahlen jedoch gingen wir mit zwei Mandatsträgern hervor – wohlgemerkt bei im Laufe der Zeit unterschiedlich großen Brettener Ratsgremien. Dessen ungeachtet haben unsere Stadträte bedeutende Akzente setzen können – etwa gleich nach dem Krieg bei der Versorgung der vielen Heimatvertriebenen oder später, als Bretten mit seinen neuen Stadtteilen zusammenwuchs. Uns war seinerzeit wichtig, dass sich die Stadtteile mit Ortschaftsräten und Ortsvorstehern Gehör verschaffen können. Auch für maßvolle kommunale Steuern, geringe Verschuldung, vorausschauende Gewerbeentwicklung, besseren Hochwasserschutz sowie gut ausgestattete Feuerwehren, Schulen und das Melanchthonhaus haben wir gestritten und tun es bis heute.
Ich könnte Ihnen schließlich erzählen, wofür die Freien Demokraten insgesamt stehen. Wir wenden uns gegen totalitäres Denken – von rechts wie von links. Wir möchten den Menschen nicht vorgeben, was sie glauben oder tun sollen. Stattdessen ist die Freiheit des Einzelnen unsere Richtschnur. Sie soll möglichst umfassend sein und erst dort ihre Grenzen finden, wo sie die Freiheit anderer berührt. Dazu gehört ein Staat der Regeln setzt, sich ansonsten jedoch mäßigt. Wir brauchen keinen Staat, der Lebensweisen vorgibt. Wir brauchen keinen Staat, der die Kommunikation zwischen Bürgern umfassend überwacht – siehe geplante Chatkontrolle. Wir brauchen keinen Staat, der Marktwirtschaft und Wohlstand mit lähmender Bürokratie, hohen Steuern und Abgaben erdrückt. Wir brauchen keinen Staat, der Bürger vollumfänglich gegen alle möglichen Risiken absichern will. Insofern ist die FDP ein einzigartiges politisches Angebot für jene, die selbst denken, entscheiden und schlicht ihr Ding machen wollen. Wir sind fest davon überzeugt, dass diese Partei auch in Zukunft gebraucht wird, da niemand die entsprechende inhaltliche Lücke auf Bundesebene füllt.
Lassen Sie uns heute aber auf die Zeit vor 80 Jahren blicken. Denn all das Gesagte, meine Damen und Herren, wird anschaulicher, wenn ich Ihnen zwei bemerkenswerte Persönlichkeiten vorstelle. Da wäre zunächst Wilhelm Gillardon I. Die Ziffer hinter dem Namen hat nichts mit Adel zu tun; man verwendete sie damals, um namensgleiche Personen voneinander zu unterscheiden.
Wilhelm Gillardon I war 1945 der tatkräftige Gründervater des liberalen Ortsverbandes. Er hatte bereits zu Zeiten der Weimarer Republik in der DDP und als Gemeinderat in Bretten gewirkt, bis 1933 alles endete. Später schildert Gillardon in einem Brief die Begegnung mit einem Brettener Nationalsozialisten:
„Einer sagte mir im März 1933, jetzt machen wir es, Junge, ihr Alten habt nichts mehr zu sagen!“ Gillardon fügt an: „Sie haben es gemacht, [nämlich] alles kaputt, unzählige schuldlose Menschen umgebracht, unser schönes […] Deutschland radikal vernichtet […].“
Solche Worte müssten doch Warnung genug sein für jene, die heute wieder mit Rechtsaußen sympathisieren!
Im Laufe der Nazi-Herrschaft bewahrte sich Wilhelm Gillardon I seine liberaldemokratische Haltung und blieb deswegen nicht ohne Sanktionen. 1940 wurde er wegen sogenannter „staatsgefährlicher Äußerung“ angezeigt, das Regime drohte, sein Verlagsgeschäft zu schließen. In jedem Fall bekam Gillardon in den Folgejahren kaum noch Material, besonders kein Papier mehr für sein Unternehmen zugewiesen.
Aufgrund seiner Prinzipien wurde Gillardon nach der Befreiung in den kommissarischen Gemeinderat Brettens berufen. Dort leistete er nicht nur einen Beitrag, die Versorgung der notleidenden Bevölkerung zu organisieren. Auch Straßen wurden seinem Vorschlag gemäß umbenannt; aus dem sogenannten „Adolf-Hitler-Ring“ wurde die Reuchlinstraße, aus dem „Horst-Wessel-Weg“ der Promenadenweg und so weiter. Dazu beantragte er im Rat, den verwahrlosten jüdischen Friedhof herrichten zu lassen, was beschlossen und ausgeführt wurde.
Bemerkenswert ist, wie Wilhelm Gillardon I über Jahrzehnte hinweg bis zu seinem Tod 1971 eine freundschaftliche Verbindung zu Brettener Überlebenden des NS-Terrors bewahrte. Ich will an dieser Stelle Manfred Hiller danken, der uns auf einen Briefwechsel zwischen Gillardon und Carl Veis hingewiesen hat. Veis bezeichnen Sie als den bedeutendsten Chronisten der örtlichen jüdischen Verfolgungsgeschichte. Er war mit Angehörigen rechtzeitig in die USA emigriert und stand mit fast allen Überlebenden über den ganzen Erdball hinweg im Austausch. Entsprechend erkundigte sich Gillardon nach 1945 verschiedentlich bei Veis nach dem Schicksal jüdischer ehemaliger Mitbürger, Freunde und politischer Weggefährten. Denn einige Brettener Juden waren bis 1933 bei den Liberalen engagiert. Wilhelm Gillardon stellt auch in diesem Briefwechsel 1947 mit Blick auf das Naziregime klar:
„Schlimmer wurde noch keine Generation betrogen und missbraucht, alles verdeckt unter sogenannten vaterländischen Erfordernissen, dabei waren es nur Macht und Gewaltgier einzelner, die es verstanden haben, das dumme Volk für ihre gemeinen Zwecke zu missbrauchen und heute leiden Millionen von Familien darunter.“
Es war Wilhelm Gillardon ein drängendes Anliegen, gleich nach dem Krieg neu anzufangen und eine bessere demokratische Zukunft in Frieden und Freiheit zu bauen. So trat er an unser Gründungsmitglied Dr. Hans Potel und weitere heran, initiierte die Gründung eines liberalen, nicht konfessionell gebundenen Parteiverbandes in Bretten und übernahm dessen Vorsitz. Wir können stolz sein auf Wilhelm Gillardon I als Vorbild, auf seine unerschütterlichen Werte und auch seine politischen Impulse. Beispielsweise führte er schon 1949 einen Vor-Ort-Termin mit kommunalen Amtsträgern durch, um seinen Vorschlag einer Südumgehung für Bretten zu erläutern – ein Thema, das uns bis heute bewegt.
Nicht weniger Anerkennung verdient unser Mitgründer Wilhelm Gillardon II – jetzt werden die Ziffern wichtig. Seine Verdienste wären ohne den beharrlichen Einsatz seiner Nachfahren Hannelore und Wolfgang Müller wohl in Vergessenheit geraten. Darum danke auch ich Euch herzlich für viele Dokumente, E-Mails und Gespräche, die bei der Vorbereitung dieser Veranstaltung äußerst hilfreich waren.
Wilhelm Gillardon II, geboren 1890, war vieles – leidenschaftlicher Sportler beim Brettener Turnverein, Fabrikant, treuer Liberaldemokrat, Gemeinde- und Kreisrat. Vor allem jedoch war er Brettener Feuerwehrkommandant. Als solcher bezeichnete er die Brandstiftung an der örtlichen Synagoge 1938 als das, was sie war – als „Schande“. Umgehend wurde er von den Nationalsozialisten für ein halbes Jahr vom Dienst suspendiert, was Gillardon nicht einschüchterte. Weiterhin widersprach er den Nazis, lehnte die Produktion von Kriegsgütern in seinem Unternehmen ab, verzichtete auf Zwangsarbeiter und verweigerte den Gruß mit dem ausgestreckten rechten Arm.
Seine wohl größte Tat leistete er jedoch am Ende des Krieges. So heißt es auf der neuen Ehrentafel am Marktplatz, die Gemeinderat und Stadt auf Initiative von Hannelore und Wolfgang Müller anbringen ließen:
„In der Nacht vom 5. auf den 6. April 1945 bewegte er die deutsche Wehrmacht zum kampflosen Abzug vor der heranrückenden französischen Armee und bewahrte so seine Heimatstadt Bretten vor Blutvergießen und Zerstörung. Durch sein mutiges und beherztes Eingreifen rettete er unzählige Menschenleben.“
So auf die verbliebenen deutschen Soldaten einzuwirken, erforderte Mut, drohte ihm ein Hauptmann doch die sofortige Erschießung an, als er es tat.
Nach dem Kriegsende und einem chaotischen Frühsommer voller Plünderungen, Not und Wohnraummangel dachte auch Wilhelm Gillardon II an den politischen Neuanfang und gehörte zu den Gründungsmitgliedern unseres liberalen Ortsverbandes. Ab 1947 bis zu seinem Tod 1953 diente er wieder als Gemeinde- und Kreisrat. Wir meinen, lieber Herr Morast, dass die konsequente demokratische Haltung Gillardons und seine Taten es rechtfertigen, künftig eine Straße in Bretten nach ihm zu benennen.
Meine Damen und Herren! Es freut mich außerordentlich, dass Sie heute mit uns ein großes 80-jähriges Verbandsjubiläum feiern. Lassen Sie uns im Geist unserer Gründer weiter für diese freiheitliche Demokratie einstehen. Denn sie ist die beste Grundlage für ein gutes, menschliches Zusammenleben – auch wenn die Tagespolitik manch großes Ärgernis bereithält. Solche Probleme sind keine Rechtfertigung dafür, dieses Land Extremisten und Putin-Freunden zu überlassen!
Zu Film und Imbiss sind Sie heute eingeladen. Wenn Ihnen die Matinee gefällt und Sie unsere Arbeit unterstützen wollen, freut sich unser Schatzmeister Alfred Wernert später über kleine und große Spenden.
So sage ich mit Blick auf die Brettener FDP: Auf die nächsten 80 Jahre!
Und Ihnen: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!